Munir Alubaidi
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Orientalische Interpretation des Romans "Knulp" von Hermann Hesse
 
Mitte der neunziger Jahre habe ich einen Roman mit dem Titel „Knulp“ von Hermann Hesse auf Arabisch gelesen. Knulp ist der Name der Hauptfigur dieses Romans, dessen Leben und dessen ausgezeichneter Charakter reflektiert wird. Ebenso werden  Knulps „Ziellosreisen“ Schritt für Schritt verfolgt bis dieser alt und krank geworden ist und am Ende stirbt. 
 
Auf seinen Reisen durch seine süddeutsche Heimat besucht Knulp seine Jugendfreunde und Schulkameraden, die inzwischen ein bürgerliches Leben führen, Karriere gemacht haben, verheiratet sind und glücklich mit ihren Familien leben, - ganz im Gegensatz zu Knulp, dem sorglosen und arbeitslosen Wanderer, der von seinen Freunden und Schulkameraden trotz der unterschiedlichen Haltung und Einstellung zum Leben von diesen immer herzlich als Gast aufgenommen wird.
 
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Ende des Jahres 2000 habe ich meine irakische Heimat verlassen, um in Deutschland Schutz zu suchen. Zunächst habe ich in Leipzig gewohnt und lebe seit 2001 in Berlin. Hier wurde ich im Stadtteil Mitte in eine Wohngemeinschaft aufgenommen, die aus Künstlern und Intelektuellen bestand, zu der auch eine Berliner Fotografin und ein Schweizer Filmregisseur gehörten, der, - wie sich später herausstellte, - ein Enkel von Hermann Hesse war.
 
In unserem Haus trafen sich Künstler vieler Herren Länder, die für kurze oder längere Zeit blieben, mit uns aßen, tranken und debattierten. Hier wurden u.a. Experimentalfilme gedreht und Bildergemalt.
Wir  diskutierten nächtelang über unsere Werke und die Werke berühmter, internationaler Künstler und Schriftsteller, wie z.B die des Schriftstellers Hermann Hesse, dessen „Glasperlenspiel“ und  „Siddharta“.
Keinem der Disputanten war jedoch Hesses Roman „Knulp“ bekannt, auch nicht seinem Enkel, dem Regisseur, so dass ich daran zu zweifeln begann, ob der Roman „Knulp“ tatsächlich existierte und zudem aus der Feder des Nobelpreisträgers Hesse stammte.
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Kreuzberg ist einer derbekanntesten Bezirke Berlins, hier treffen sich Künstler, Schriftsteller,Studenten, Punks und so weiter. Nicht weit von dem U-Bahnhof Kottusser Tor befindet sich die Stadtbibliothek, die nach dem bekannten Revolutionär Wilhelm Liebknecht benannt ist.Ich habe diese Bibliothek regelmäßig besucht, um Bücher und Zeitungen zu lesen. Eines Tages habe ich mir gedacht: Es ist besser, die Bibliothekarin zu fragen, ob es einen Roman von Hesse mit dem Titel „Knulp“ gibt.

 „Aber natürlich“, antwortete sie „ Kommen Sie in zwei Wochen, dann ist Knulp  wieder da !“
Ich bin immer ungeduldig, verglichen mit der berühmten deutschen Geduld. Die Frist der Bücherverleihung beträgt einen Monat und kann noch zwei Wochen verlängert werden.

Als ich danach Katja Brinkmann erzählte, was passiert ist und daß ich so lange warten muss, um das Buch von der Bibliothek zu erhalten, sagte sie mir: „ Du brauchst nicht zu warten.  Knulp ist bei mir zu Hause.“
Katja, mit der ich für die GASAG gearbeitet habe, ist eine Malerin. Die Bilder von ihr sind künstlerisch sehr kreativ, sie gefallen mir. Sie benutzt Computer- Programme, um Bilder mit einer erstaunlichen geometrischen Balance zu produzieren . Außerdem ist sie eine Intellektuelle und hat meines Erachtens eine gute Ansicht über die deutsche Literatur.  
Am nächsten Tag hat Katja mir „Knulp“ mitgebracht, sie sagte mir, dass sie „Knulp“ schon gelesen hat und er hätte ihr nicht gefallen.
Aufgrund von Katjas Ansicht und auch der einiger anderer bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen: : Viele Menschen der neuen Generation haben entweder überhaupt keine Ahnung, dass es den Roman „Knulp“ gibt oder sie beschreiben ihn als langweilig und uninteressant.
Warum ?
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Knulps Reise durch Süddeutschland , die in dem Roman dargestellt wird , enthält manche Begegnungen mit Freunden und Schulkameraden , die ihre eigenen Wege gegangen sind und ihre Karriere gefunden haben . Die von dem Roman dargestellten Schicksale der Freunde und Schulkameraden von Knulp sind das ganze Gegenteil seines eigenen Schicksals. Hesse hat sich absichtlich auf die „erfolgreichen“ Schicksale von Knulps Freunden konzentriert, um die unterschiedliche Haltung und Einstellung zum Leben zu betonen . Trotz des gemeinsamen Startpunkts für alle , für Knulp ebenso wie für seine Freunde , nämlich  die Lateinische Schule, ist das Ergebnis ganz unterschiedlich.

Knulps zielloses Leben , welches er dem stabilen, normalen Leben seiner Freunde vorzog, beeinflußte nicht das, was er unter moralischer Haltung verstand. Deshalb mied er höflich die Versuche der Frau seines Freundes Rothfuß, die seine Eleganz und sein höfliches Verhalten bewunderte, mit ihm zu flirten. Gleichzeitig zögerte er nicht mit Fräulein Barbara Flick zu flirten, dem Mädchen, welches im benachbarten Haus arbeitete und unter Heimweh litt. Knulps Lebensstil widersprach auch nicht seiner Beharrlichkeit, elegant zu bleiben und stand nicht in Konflikt mit seinen moralischen Überzeugungen, als ob Hermann Hesse versucht, uns mitzuteilen, dass die Tendenz Landstreicher oder Vagabund zu sein nichts mit einer moralischen Minderung der Werte zu tun hat. Es ist eher eine Lebensart.

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Anfang des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein blühten die Kunst und das intellektuelle Leben in Frankreich. Frankreich brachte z.B. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Impressionismus hervor, der den wichtigsten Fall in der Kunstgeschichte darstellt. Davon wurden gleichzeitig die Literatur, die Philosophie und das gesamte kulturelle Leben beeinflußt.
Alle diese Entwicklungen bereiteten den Weg für die folgende Kunst des 20. Jahrhunderts. Viele Kritiker und Kunsthistoriker versuchten dieses Phänomen zu studieren und die folgende Frage zu beantworten: Warum blühte die Kunst und das intellektuelle Leben in Frankreich und nicht anderswo? Warum verlagerte sich das künstlerische Zentrum von Italien und Spanien nach Frankreich?
    
Manche glaubten die Antwort in der Konstitution der damaligen französischen Gesellschaft gefunden zu haben. Sie ließ die Möglichkeit zu, am Rande der Gesellschaft zu leben, zu überleben, ohne irgendetwas zu tun. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß alle Landstreicher und Vagabunden Künstler oder schöpferische Menschen waren. Aber dieses Lebensmuster als sog. Lebenskünstler ermöglichte es vielen, die über kreatives Potential verfügten, künstlerisch tätig zu werden.
Van Gogh hat in seinem sehr kurzen, sehr intensiven Leben am Rande der Armut gelebt. Die Unterstützung, die ihm von seinem Bruder Theo in Form von Geld gegeben wurde, verwendete er, um Ölfarben zu kaufen. Paul Gauguin verließ seine rentable Arbeit, widmete sein ganzes Leben der Kunst und fuhr bis nach Hawaii. Es ist auch bekannt, daß das Leben des Dichters Arthur Rimbaud ähnlich wechselvoll verlief. Die blinkenden kurzen Leben solcher Leute sind sinnvoller als die Leben von Tausenden, die im Komfort und in der Stabilität leben, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
 Paris ist dann zum Mekka der Künstler geworden, die aus der ganzen Welt kamen, in dem Glauben, dass ihre Erfolgschancen nur innerhalb der Pariser kreativen Atmosphäre gedeihen könnten.
 
Diese Leute existierten als Teil der Gesellschaft zu allen Zeiten, in allen Gesellschaftsformen und werden auch weiterhin existieren . Wichtiger jedoch ist, welche Haltung das Kollektiv ihnen entgegen bringt. Das hängt natürlich von  vielen Faktoren ab. Der wirtschaftliche Wohlstand und die ökonomische Sicherheit  ermöglichte die Akzeptanz und die gesellschaftliche Unterstützung von solchen Außenseitern, die keinen Wunsch haben zu arbeiten
 Diese Außenseiter lebten beispielsweise in Bagdad, der Hauptstadt der Dynastie der Abbasiden (750-936), dem Zentrum eines sehr großen Reiches. Dieses Zentrum wurde gespeist von weit entfernten Regionen. und profitierte davon. Solche Außenseiter sammelten sich in verschiedenen Gruppen, wie z.B. Altufailien ( Parasiten )und Al Sa`alik. Einer der berühmten Namen dieser Gruppen war Asha´ab. Viele Geschichten über ihn und seine Gruppe spiegeln die Art der Philosophie und der besonderen Literatur wider.

In Europa beschreibt Colin Wilson in seinem Roman „Adrift In Soho“ ein imaginäres Bestehen einer Gruppe von Künstlern und Schriftstellern, Männern wie Frauen, welche in einem großen verlassenen Haus ohne irgendwelche Tabus zusammen leben, nachdem sie es gemeinsam renoviert haben. Der Roman stellt auch den Traum vieler Künstler dar, die das Schwinden solcher Möglichkeiten, ein anderes Leben zu führen, bedauern.
Dies war auch die Idee von Van Gogh, der davon träumte, eine Künstlerkolonie zu gründen, die dann als die „Pariser Kommune“ im Gedächtnis blieb.
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Früher gewann der arbeitslose Landstreicher, wie z.B Asha`ab und Knulp, die Sympathie der gewöhnlichen Leute, die ein stabiles Sozialleben führten. Diese Sympathie und Unterstützung spiegelte die passive Tendenz der gewöhnlichen Leute wider, ein sorgloses Leben zu realisieren, ein für sie selbst nicht erreichbares Ziel.
Diese Sympathie und Unterstützung ermöglichte es solchen Sozialmodellen zu überleben.
 Im Gegenteil dazu aktivieren die Globalisierung und die Neuentwicklungen in den industriellen Gesellschaften alle Potenziale der ökonomischen Positionen beizubehalten.
 
In Deutschland zum Beispiel, wo die tätige Arbeit fast die einzige Quelle der Sozialfülle ist, werden die Arbeitslosen zu nicht annehmbaren Leuten. Die negative Einstellung ihnen gegenüber ist immer mehr zum moralischen Standard geworden. Es wird immer mehr Druck auf solche Leute ausgeübt.
                                                         
Die Sozialspannung, alle Kräfte für Arbeit zu mobilisieren und die Ablehnung den sog. Landstreichern gegenüber werden von der gesamten Gesellschaft als moralischer Wert adaptiert. Daraus resultiert, daß die Arbeitslosen oft vortäuschen müssen, einen Job auszuüben, um Anerkennung zu finden.
 
Der Roman „Knulp“ von Hermann Hesse ist entweder vergessen oder ihm wird nicht die nötige Aufmerksamkeit gewidmet, weil er nicht mehr mit der neuen Mentalität kompatibel ist. Der moderne Knulp würde nicht mehr wie der alte Knulp, der am Anfang des 20. Jahrhunderts lebte, angenommen. Er wäre selbverständlich wirtschaftlich mehr abgesichert als der alte Knulp.
Trotz dieser unterschiedlichen Haltungenbehält der Roman von Hesse seinen großen Wert, solange er innerhalb des Kontextes seiner Zeitepoche gelesen wird und nicht das Opfer einer Einschätzung nach zeitgenössischen moralischen Werten wird.
 
Munir Alubaidi
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